Ehrenmal für die verunglückten Arbeiter

Ein Gedenkort für alle Opfer der Schwerindustrie

Am 29. Januar 1911 ereignete sich in Schacht 3/7 der Zeche Friedrich Thyssen eine Schlagwetterexplosion. Berichten zufolge ereignete sich das Unglück gegen 18 Uhr im Flöz 17 auf der 5. Sohle im östlichen Bereich des Schachts. Zwölf Bergmänner fielen der Explosion zum Opfer, drei weitere wurden verletzt.

Zum Gedenken an die Verstorbenen wurde ein Ehrenmal aus belgischem Granit errichtet. Herzstück dieser Anlage war ein stattliches Kreuz auf einem hohen, bildhauerisch gestalteten und mit Bronzereliefs versehenen Postament. Das Kreuz überragte eine rundum zaunartig gefasste Grabanlage, in die Tafeln mit den Namen und Daten der verstorbenen Bergmänner eingebracht worden waren. Im Zentrum der Ehrenmalanlage befanden sich gefasste Blumenbeete. Eine Tafel auf dem Kreuzpostament verriet eine Widmung – unter Schlägel und Eisen war zu lesen: „Glück auf zur letzten Schicht.“ Die Bergbau AG Niederrhein/Oberhausen, die über 60 Jahre lang die Nutzungsgebühr für das Ehrenmal beglich, hatte Anfang der 1970er Jahre die Grabstelle auflösen lassen.

Die ursprüngliche Grabanlage und Gedenkstätte für die Verunglückten des Grubenunglücks © Pfarrgemeinde St. Johann, Hamborn

Dies warf in der Abtei die Frage auf, was mit dem Ehrenmal geschehen sollte. Schließlich entschied man sich, das Kreuz aus seinem künstlerischen und sepulkralen Kontext zu lösen und es einzeln an einem neuen Ort auf dem Friedhof aufzustellen. Man beschloss, dem Kreuz außen am Chor der Abteikirche einen neuen Standort zu geben. Ferner wurde entschieden, das Kreuz umzuwidmen.

“Das Denkmal soll für uns Lebende ein[e] doppelte Mahnung sein, einerseits selbst stets auf den plötzlichen Tod vorbereitet zu sein und andererseits das Schicksal der Verunglückten durch Gebet und Meßopfer Gott zu empfehlen.” 

Pater Ludger Horstkötter O.Praem. (1939 – 2022, Mitglied der Abtei Hamborn und Initiator der Umgestaltung) 

Das Kreuz, das seit seiner Aufstellung speziell den toten Bergmännern des Grubenunglücks im Januar 1911 gewidmet war, wurde nun allen Toten, die in der Schwerindustrie ums Leben kamen, gewidmet. Die Patres wünschten sich für die Neuaufstellung aber auch eine Umgestaltung des Kreuzes. Dafür konnten sie die Künstlerin Tisa von der Schulenburg, auch bekannt als Schwester Paula, gewinnen. Sehr bekannt im westlichen Ruhrgebiet und darüber hinaus ist die 2001 verstorbene Schwester Paula auch heute noch durch den von ihr künstlerisch mitgestalteten Kreuzweg auf der Halde Haniel in Bottrop. Jährlich am Karfreitag gehen hier hunderte Gläubige mit dem Bischof von Essen den Weg hinauf zum Spurlatten-Kreuz. Bergleute der Zeche Prosper Haniel schufen es für das Plateau am Ende des Kreuzweges hoch über Bottrop und Oberhausen.

Heute erinnert das Kreuz an alle tödlich Verunglückten der Schwerindustrie. Hier dargestellt: Stahlwerksarbeiter © Ulrich Wilmes

Tisa von der Schulenburg wurde 1903 als Gräfin Elisabeth Mary Caroline Veronika von der Schulenburg geboren. Aufgewachsen in London, Berlin, Potsdam, Münster und Mecklenburg, studierte sie ab 1919 an der Berliner Akademie unter Max Liebermann. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 emigrierte sie mit ihrem jüdischen Ehemann nach England. Zur Beerdigung ihres Vaters 1939 kam sie zurück nach Deutschland. Dieser war im Gegensatz zu Tisa überzeugter Nazi, zu seiner Beerdigung war sogar Heinrich Himmler anwesend. Dies war auch der Grund, warum ihr von englischer Seite die Rückreise nach England verwehrt wurde – man hielt sie für eine Nationalsozialistin. Den Krieg überlebte sie auf dem Gut ihres zweiten Mannes in Mecklenburg. 1950 trat sie in das Ursulinenkonvent in Dorsten ein. Dort trug sie den Namen Schwester Paula.

Schon in England kam Tisa mit Bergleuten und ihren harten Arbeitsbedingungen sowie schlechter Bezahlung in Kontakt. Das prägte ihr Kunstschaffen enorm; später im Ruhrgebiet nannte sie Bergmänner “meine dunklen Brüder”. Sie fuhr immer wieder in Gruben ein, solidarisierte sich mit den Bergleuten im Arbeitskampf. Es entstand ein umfangreiches Lebenswerk, das sich neben Bergleuten und anderen Arbeiten mit der Schreckensherrschaft der Nazis, dem Holocaust und anderen Menschenrechtsverletzungen auseinandersetzt. 

“Im Gegensatz zu den Nazis, deren Heldentum so sehr oberflächlich, ja böse – war, hatten diese Männer keine heroischen Gesten gezeigt, sie hatten nicht geprahlt, sie waren mutig gewesen, voller Humor”

Tisa von der Schulenburg alias Schwester Paula (1903 – 2001) über die Bergmänner 

Tisa schuf vor allem Reliefs und Tuschezeichnungen. Ersteres wurde auch hier auf dem Abteifriedhof umgesetzt. Für das Granitkreuz fertigte sie drei Reliefplatten aus Bronze. Eindrücklich sind auf der oberen, großen Reliefplatte Verunglückte und ihre Helfer abgebildet, während unten rechts drei Hochofenarbeiter bei der Arbeit und links ein Bergmann zu sehen sind. Im Jahr 1976 konnte das umgestaltete Kreuz am Chor der Abteikirche aufgestellt werden. Die Bergbau AG Niederrhein/Oberhausen beteiligte sich zur Hälfte an den Kosten der Umgestaltung und Neuaufstellung.

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